Ein Mann mit rötlichem Haar und rötlichem Bart steht auf einer Weide und blickt in die Ferne.
In einem Film zeigt der niederländische Landwirt Teun de Jongh, wie auf einem Bauernhof Kulturfleisch gezüchtet werden könnte. Foto: Videoausschnitt "The Cultivated Meat Farm"

Für Bauernhöfe ohne Tierleid

Stiftung RESPECTfarms zeigt, wie Landwirte Kulturfleisch züchten können

Stand: September 2023

Den Haag/Amsterdam. Ein Landwirt mit dunkelgrünen Gummistiefeln schlendert über eine Weide. Er blickt in die Ferne und sieht seine Rinder, die grasen und über die Wiese laufen. Die Sonne steht tief am Himmel und taucht die Landschaft in warmes, weiches Licht. "Ist das nicht ein wunderschöner Anblick?", fragt Teun de Jongh. Streng genommen sagt er nicht genau das, denn er spricht auf Englisch. Was der Niederländer mitzuteilen hat, soll nämlich möglichst viele Menschen erreichen. 

 

Bauernhof muss umgestaltet werden

 

In den nächsten neun Minuten wird er berichten, wie er den Bauernhof, den schon seine Urgroßeltern besaßen, in einen modernen Betrieb umwandeln will. Eigentlich mehr als modern, aus heutiger Sicht fast futuristisch. Er will in Zukunft kultiviertes Fleisch herstellen. Also Fleisch, das nicht aus dem Körper eines Tiers geschnitten wird, sondern Fleisch, das in einem Bioreaktor gewachsen ist. Dem Rind, Schwein oder Huhn wird dafür lediglich eine Art Gewebeprobe entnommen - ohne dem Tier Leid zuzufügen oder es gar zu töten. Damit dies auf dem Bauernhof möglich ist, muss er zuvor umgestaltet werden. 

Auf einer Zeichnung ist eine landwirtschaftlicher Hof mit mehreren Gebäuden zu sehen. Abgebildet sind zudem unter anderem ein Wohnhaus, ein Traktor, ein Reisebus, ein Auto, ein Lastwagen und ein Windkraftrad.
So könnte eine Farm aussehen, auf der kultiviertes Fleisch hergestellt wird. Die Bauernhöfe, die RESPECTfarms plant, sollen das Beste aus Tradition und Innovation vereinen. Illustration: RESPECTfarms

Film von RESPECTfarms macht Konzept anschaulich

 

Noch ist das Ganze Zukunftsmusik. Der Film, in dem die Geschichte des niederländischen Landwirts erzählt wird, stellt eine Vision davon dar, wie sich die Gründer von RESPECTfarms die Transformation von Bauernhöfen hin zu Produktionsstätten für Kulturfleisch vorstellen können. RESPECTfarms ist eine Stiftung mit Sitz in Den Haag, die sich dafür einsetzt, dass Landwirte auf ihren Höfen möglichst bald kultiviertes Fleisch produzieren können. Mit dem Film soll politischen Entscheidungsträgern, Forschern und Landwirten gezeigt werden, wie diese so genannte zelluläre Landwirtschaft aussehen könnte. 

Ein Mann und eine Frau mit langen blonden Haaren sitzen auf einem Sofa und lächeln in die Kamera. Ein weiterer Mann und eine weitere blonde Frau befinden sich hinter dem Sofa, stützen sich auf der Sofalehne ab und lächeln ebenfalls in die Kamera.
Sie haben die Stiftung RESPECTfarms gegründet (von links): Ralf Becks, Ruud Zanders, Ira van Eelen und Florentine Zieglowski. Foto: RESPECTfarms

So treibt Florentine Zieglowski die Kulturfleisch-Idee voran

 

Florentine Zieglowski ist verantwortlich für RESPECTfarms in Deutschland. Der Name der 28-jährigen Forscherin taucht mittlerweile in vielen Zeitungsartikeln und auf Online-Portalen auf. Als Referentin war sie bereits bei der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) zu Gast, als Geschäftsführerin des Vereins CellAg treibt sie die zelluläre Landwirtschaft ebenfalls voran. Der Terminkalender von Florentine Zieglowski dürfte angesichts der wachsenden Bedeutung der Kulturfleisch-Idee gut gefüllt sein.

 

Per Zufall kommt Zieglowski nach Maastricht

 

Dass ihr Alltag einmal so aussehen wird, hätte sie sich vor einigen Jahren kaum vorstellen können. "Ich bin in das Thema reingeschlittert, es ist wie ein Jackpot", erzählt sie. Doch von Anfang an: Nachdem sie an der Universität Passau ihren Bachelor in Staatswissenschaften (Governance and Public Policy) gemacht hatte, holte sie sich ihren ersten Master-Titel in Portugal im Fach International Management. Per Zufall hat es sie danach in die Niederlande nach Maastricht verschlagen, wo sie noch das Master-Studium "Strategy and Innovation" draufsattelte. 

Ein blondes Mädchen, das einen roten Overall und eine Cappy trägt, sitzt in einem Stall auf der Erde zwischen Ferkeln und lächelt in die Kamera.
Schon als kleines Kind fühlte sich Florentine Zieglowski Tieren verbunden. Foto: privat

In Maastricht sitzt auch die Firma Mosa Meat

 

Maastricht stellte für sie allerdings aus einem weiteren Grund die Weichen neu. "Dort habe ich während des Studiums Food-Tech-Kurse besucht. Und nichts hat mich so überzeugt, wie die Idee von kultiviertem Fleisch", berichtet Florentine Zieglowski. Maastricht war nicht nur der Ort, an dem sie studierte, nein, die Stadt ist auch Sitz von Mosa Meat. Das Unternehmen arbeitet an Produktionsmethoden für kultiviertes Fleisch. Mitgründer des niederländischen Unternehmens ist Mark Post, der zudem auch Forscher an der Universität Maastricht ist. Mosa Meat war die Firma, die 2013 den weltweit ersten im Labor gezüchteten Burger auf einer Pressekonferenz in London präsentierte.

 

Mosa Meat stellt Kontakt zu Ira van Eelen her

 

"Ich wollte dort arbeiten", blickt Florentine Zieglowski zurück. Doch Mosa Meat hatte keine entsprechende Stelle für ihr Profil frei. "Ich war ja keine Naturwissenschaftlerin", erläutert sie. Dennoch war man bei dem Unternehmen von ihr angetan. Deshalb hat Mosa Meat die damalige Studentin mit Ira van Eelen und Ralf Becks bekannt gemacht. Letzterer ist Industriedesigner. Ira van Eelen ist nicht nur die Tochter von Willem van Eelen, der als "Godfather" des In-Vitro-Fleisch-Konzepts gilt, sondern setzt sich in mehreren Organisationen und Stiftungen für die Kulturfleisch-Idee ein.

 

Van Eelen lädt Zieglowski nach Amsterdam ein

 

Ira van Eelen lud Florentine Zieglowski zu sich auf ihr Hausboot nach Amsterdam ein. Ohne dass die beiden sich vorher kannten, durfte Florentine Zieglowski rund ein halbes Jahr bei der Niederländerin wohnen. "Ich hatte dort nur einen kleinen Raum, habe mich aber sofort in Amsterdam verliebt", erzählt die 28-Jährige. Schon nach etwa vier Wochen habe sie beschlossen, dort zu bleiben. Als gleich nebenan ein Segelboot zum Verkauf angeboten wurde, griff sie zu. "Ich habe das Boot gekauft und bin jetzt Iras Nachbarin", sagt sie. Nicht nur das: Die Niederländerin sei eine Freundin und Mentorin für sie geworden. 

 

Die Stiftung RESPECTfarms wird gegründet

 

Gemeinsam mit Ira van Eelen und Ralf Becks gründete Florentine Zieglowski die Stiftung RESPECTfarms. Doch ein Name fehlt hier noch: Ruud Zanders gehört ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern der Stiftung. Zuvor hatte Zanders schon ein Unternehmen für nachhaltige Legehennenhaltung aus der Taufe gehoben. Es heißt Kipster und ist ein Stallkonzept, das sowohl tierfreundlich als auch umweltschonend sein soll. Den Tieren werden Auslauf, Innengarten sowie Schlaf- und Liegeflächen geboten. Sonnenkollektoren auf dem Dach liefern Energie für den Hühnerstall. Als Futter dienen Reste aus der Lebensmittelindustrie. "Wir vier sind alle extrem unterschiedlich", sagt Florentine Zieglowski. Dadurch ergänze man sich gut. 

 

RESPECTfarms hat Machbarkeitsstudie erstellt

 

Von Anfang 2023 bis Sommer 2024 war das Team von RESPECTfarms mit einer Machbarkeitsstudie beschäftigt. „Wir wollten herausfinden, ob und wie es funktionieren kann, kultiviertes Fleisch auf einem Bauernhof herzustellen“, erläutert Florentine Zieglowski. Die Kosten der Studie hat RESPECTfarms nicht allein gestemmt: Die Europäische Union, sogenannte Nichtregierungsorganisationen und Industriepartner haben in das Projekt investiert.

Zwei Männer und zwei Frauen stehen vor einem roten Bachsteingebäude im Gras und lächeln in die Kamera. Die beiden Frauen halten ein Foto mit dem Logo von RESPECTfarms hoch. An der Wand des Gebäudes hängt das große Abbild einer altmodischen roten Windmühle
Die Rügenwalder Mühle gehört zu den Sponsoren der RESPECTfarms-Forschung. Zu sehen sind hier (von links): Rügenwalder-Chef Michael Hähnel, Ira van Eelen, Florentine Zieglowski und Patrick Bühr, Forschungsleiter bei Rügenwalder. Foto: RESPECTfarms

Studie beleuchtet Nährmedium und Bioreaktoren

 

Im Rahmen der Studie sollte unter anderem untersucht werden, wie der erste kultivierte Bauernhof genau aussehen könnte. Ziel war es, eine Art digitalen Prototypen zu erstellen. Zudem ging es um die Frage, in welchem Nährmedium die Zellen wachsen sollen. Darüber hinaus galt es zu klären, welcher Bioreaktor sich dabei für die landwirtschaftlichen Betriebe eignet. 

 

Für die Studie wurde eine umfangreiche Literaturrecherche betrieben, es wurden Experimente gemacht und Interviews mit Experten aus verschiedenen Bereichen geführt. Was ist herausgekommen? Zum einen, dass 10,5 Prozent der niederländischen Landwirte aus wirtschaftlichen und nachhaltigen Gründen offen für die Umstellung auf kultiviertes Fleisch sind.

 

Die Forscher von RESPECTfarms haben zudem festgestellt, dass es am besten wäre, wenn jeder Bauer nur eine kleine Menge Fleisch züchtet. Dafür könnten sie Behälter benutzen, die nicht mehr als 1000 Liter fassen. Das mache die Sache unter anderem sicherer.

 

Außerdem könnten die Landwirte für die Kultivierung des Fleischs beispielsweise Hefe oder sogar Gras verwenden. Die Stiftung hat auch herausgefunden, wie schnell sich die Umstellung für die Landwirte finanziell lohnen könnte. Zwar müssten sie am Anfang viel Geld ausgeben – teilweise mehr als eine Million Euro. Aber nach drei bis sieben Jahren hätten sie dieses Geld wieder drin. Mehr dazu: Hier.

 

Ziel ist der Bau einer Pilotfarm, also einer Art Muster-Farm

 

Das, was in der Theorie herausgekommen ist, müsse nun in der Praxis umgesetzt werden, erklärt Florentine Zieglowski. „Auf Grundlage der Studienergebnisse kann man eine Pilotfarm aufbauen“, meint sie. Das Produkt von RESPECTfarms ist also nicht Fleisch, sondern ein Farm-Konzept.“ Wo der Hof entstehe, sei für die Stiftung egal. „Die Niederlande glauben allerdings an zelluläre Landwirtschaft und sind in diesem Punkt deshalb erfahrungsgemäß schneller als Deutschland“, hat sie beobachtet. „Ich würde das Projekt zwar gerne in Deutschland sehen, aber die Niederlande haben im Frühjahr 2022 gerade erst 60 Millionen Euro in das Thema investiert.“

Eine Zeichnung zeigt den Querschnitt einer Farm aus der Vogelperspektive. In einem Bereich sind vier Kühe zu sehen, in einem anderen Menschen, die an Tischen sitzen. Nebenan stehen Bioreaktoren.
Blick von oben auf eine Farm der Zukunft. Funktioniert das Farm-Konzept von RESPECTfarms, kann es als Vorlage für weitere Höfe dienen. Illustration: RESPECTfarms

Sorge, dass Deutschland Anschluss verpasst

 

Ganz generell sorgt sich Florentine Zieglowski darum, dass Deutschland bei der zellulären Landwirtschaft den Anschluss verpassen könnte. „Wir Deutsche lassen oftmals andere vorgehen und versuchen dann, später mitzumachen.“ Diese Mentalität birgt ihrer Meinung nach die Gefahr, dass Start-Ups und Talente ins Ausland abwandern.

 

Problem: Jeder forscht für sich allein

 

Und noch eine Sache bereitet ihr Kopfschmerzen: „Es wird global betrachtet zwar viel in Sachen zelluläre Landwirtschaft geforscht, doch alle Unternehmen arbeiten für sich an denselben Fragen. Die Ergebnisse sind nicht öffentlich zugänglich“, bemängelt sie. Besser wäre es ihrer Ansicht nach, wenn die Grundlagenforschung öffentlich finanziert werden würde. „Das würde sich wie ein Booster auf die Entwicklung der Branche auswirken“, ist sie überzeugt.

 

In anderen Ländern tut sich viel mehr in puncto Kulturfleisch

 

Während das Thema Cultured Meat zumindest in Deutschland noch eher skeptisch beäugt wird, werden in anderen Ländern bereits Nägel mit Köpfen gemacht. So hat der größte Fleischproduzent der Welt, die brasilianische Aktiengesellschaft JBS, im Juni 2023 in Spanien mit dem Bau einer Fabrik für kultiviertes Rindfleisch begonnen. Im gleichen Monat haben die Behörden in den USA grünes Licht für den Verkauf von kultiviertem Fleisch in den Staaten gegeben. Und im Juli 2023 hat das israelische Start-Up Aleph Farms bei den Schweizer Regulierungsbehörden einen Antrag zur Zulassung von kultiviertem Fleisch eingereicht.

 

Florentine Zieglowski bewertet diese Entwicklung positiv. „Die Zulassung in den USA ist ein großer Meilenstein für die ganze Industrie. Außerdem wird dadurch der Druck auf Deutschland und die Europäische Union erhöht, ebenfalls aktiv zu werden“, findet sie.

 

Zieglowski: Vielfalt der Wege ist eine Chance

 

Dass auch riesige Konzerne wie JBS den Kulturfleisch-Markt für sich entdeckt haben, und dadurch eine mächtige Konkurrenz für die RESPECTfarms-Idee eines dezentralen Umbaus von landwirtschaftlichen Betrieben darstellen könnten, ängstigt sie nicht. „Erstens ist die Entscheidung von JBS ein starkes Signal für die gesamte Fleischwirtschaft“, sagt sie. „Und zweitens ist der Markt riesengroß. In der Vielfalt der Wege liegen viele Chancen. Das beste System – also entweder zentrale oder dezentrale Produktion - wird sich durchsetzen. Vielleicht werden die Systeme auch koexistieren“, meint Florentine Zieglowski.

Kontakt und Infos:

 

RESPECTfarms

Mesdagstraat 28

2596 XW, Den Haag

email: info@respectfarms.com

www.respectfarms.de

Hier könnt Ihr Euch das Video "The cultivated meat farm" anschauen: