Willem van Eelen war kein Professor, Konzernchef oder Vegetarier - aber er hatte einen Traum. Er glaubte daran, dass man Fleisch außerhalb von Tieren züchten kann. So wie man es schon lange in der Medizin mit menschlichem Gewebe praktiziert hatte. Drei Schlüsselmomente in seinem Leben haben ihn dazu gebracht, seine Vision zu verwirklichen. Zwei Erlebnisse davon könnte man als traumatisch bezeichnen. Doch sie haben dem Niederländer eine immense Motivation und ein extremes Durchhaltevermögen verliehen. 1999 erhielt er endlich sein Patent für die Herstellung von In-Vitro-Fleisch. Da war er 76 Jahre alt. Er ist ein Vorbild dafür, dass seinen Lebenstraum auch noch im hohen Alter verwirklichen kann. Und sein Lebensweg zeigt, dass gerade Schicksalsschläge die Energie für wahre Heldenleistungen liefern können, sofern man sie in gute Bahnen lenkt.
Willem van Eelen machte den ersten Kulturfleisch-Burger möglich
Eines steht fest: Ohne Willem van Eelen hätte es 2013 in London nicht die erste Präsentation eines Burgers gegeben, der aus Fleisch bestand, das nicht an oder in einem Tier gewachsen ist. Dieses Fleisch, das außerhalb eines Tiers wächst, wird auch In-vitro-Fleisch (lateinisch für "im Glas"), clean meat, cultured meat oder Kulturfleisch genannt. Die gesamte Disziplin, die sich mit dieser Materie befasst nennt sich zelluläre Landwirtschaft. Es werden also Fleischzellen gezüchtet, keine ganzen Tiere.
Die ersten Visionäre: van Eelen, Churchill, Haldane
Willem van Eelen hat bei der Entwicklung dieser Technologie richtig Dampf gemacht. Und zwar, als noch niemand diese Idee so wirklich auf dem Schirm hatte. Okay, es gab hier und da schon mal eine derartige Fantasie in der Literatur oder den einen oder anderen Visionär, der so etwas in der Art mal von sich gegeben hat. Zum Beispiel hat der indisch-britische Biologe John Burdon Sanderson Haldane 1927 in einem Buch über ein künstlich hergestelltes Steak geschrieben. Oft wird auch der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill zitiert. Er soll etwa gegen 1931 gesagt haben: "Wir werden von dem Aberwitz abkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, und diese stattdessen in einem geeigneten Medien züchten."
Drei Erlebnisse prägen van Eelens Traum vom Kulturfleisch
Willem van Eelen aber hat nicht nur hiervon geträumt, sondern er hat an der Verwirklichung gearbeitet. Und das, weil ihm wie schon erwähnt die drei besagten Sachen passiert sind.
Erlebnis Nummer 1: Van Eelen, der 1923 geboren wurde, war als junger Mann in Kriegsgefangenschaft in Indonesien. Und da sind Sachen passiert, die van Eelen niemals wieder losgelassen haben und den Grundstein für sein Lebensthema Kulturfleisch gelegt haben.
Erlebnis Nummer 2 (Dies gehört in die Kategorie positive Erfahrung): 1948 hat van Eelen als Medizinstudent durch ein Mikroskop geschaut. Was er da sah, hat ebenfalls einen großen Einfluss auf sein Lebenswerk gehabt.
Erlebnis Nummer 3: 1975 starb van Eelens Frau. Das muss eine schockierende und fast traumatische Erfahrung gewesen sein, denn auch der Tod seiner Frau hat bei van Eelen so einiges in Gang gesetzt.
Geboren wird van Eelen in Indonesien
Doch von Anfang an: Geboren wurde Willem van Eelen in Indonesien, das damals von den Niederlanden beherrscht wurde. Die Kolonie hatte den Namen Niederländisch-Indien. Van Eelens Vater war dort Arzt und kümmerte sich um eine Lepra-Kolonie. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte van Eelen dort dann gegen die Japaner - und wurde deren Kriegsgefangener. Mehr dazu lest Ihr bei Spektrum.de.
Der Hund im Stacheldraht
Eine Begebenheit, die dies gut illustriert, beschreibt der Berliner Journalist und Tierschützer Hendrik Hassel in seinem Buch "Neues Fleisch". Eines Tages, so schreibt er, habe sich ein Hund in dem Stacheldraht eines Zauns verfangen. Die japanischen Soldaten hätten Schießübungen an dem verzweifelten Tier gemacht haben. Willem van Eelen hat den Hund dann befreit. Doch er kam nicht weit mit ihm. Die anderen Häftlinge entrissen ihm das arme Tier und aßen ihn sofort auf. Spektrum.de wird noch etwas deutlicher: Der Hund sei auf der Stelle zerrissen und roh aufgegessen worden. Die Grausamkeit des Hungers, aber auch das Tierleid hätten sich tief in van Eelens Gedächtnis eingebrannt.
Thema Ernährung wird zur Obsession
Damals sei ihm demnach zum ersten Mal der Gedanke gekommen: Warum können wir Fleisch nicht wie Pflanzen wachsen lassen? Außerdem, so heißt es bei Spektrum.de, habe diese Erfahrung zu einer lebenslangen Obsession mit dem Thema Ernährung geführt.
Überfluss in den Niederlanden
Was hat es mit Erlebnis Nummer 2 auf sich? Mit Anfang 20 zog van Eelen in die Niederlande. Dort habe er gemeinsam mit seinem Bruder oft in den Supermärkten gestanden, und die Konserven mit Essen bestaunt. So beschreibt es die Berliner Autorin Nadine Filko in ihrem Buch "Clean meat". 1948 studierte er Medizin in Amsterdam. Dort kam er das erste Mal mit Gewebe in Berührung, dass künstlich am Leben erhalten wurde.
Mediziner züchten Haut für Brandopfer
Die Zellkulturen waren laut der österreichischen Wochenzeitung "Die Furche" für Patienten mit Verbrennungen gedacht. Die Zeitung zitiert Ira van Eelen, die Tochter von Willem van Eelen, hierzu folgendermaßen: "Für meinen Vater stand fest, wenn die Medizin Haut für Brandopfer züchten konnte, dann könnte sie auch ein Steak wachsen lassen." Auch die Autorin Nadine Filko lässt Ira van Eelen zu Wort kommen: "Während alle Studenten das Gewebe unter wissenschaftlichem Interesse betrachteten, war der erste Gedanke meines Vaters ,das kann ich essen'." Für Filko ist dies die Geburtsstunde der In-vitro-Fleisch-Idee.
16 Restaurants mit seiner Frau
Nach diesem Ereignis dauerte es erst einmal ziemlich lange, bis das Thema van Eelen wieder beschäftigte. In der Zwischenzeit war er als Unternehmer tätig. Er hatte gemeinsam mit seiner Frau mehr als 16 Restaurants.
Suche nach Heilmittel gegen den Tod
Das dritte prägende Ereignis war der plötzliche Tod seiner Frau im Jahr 1975. Das hat ihn laut Nadine Filko so sehr schockiert, dass er sich in der Zeit darauf mit einer Verlängerung der Lebenserwartung und mit einem Heilmittel gegen den Tod befasst hat. Und wieder kam er dabei mit der Stammzellenforschung und Zelltherapie in Berührung.
Noch mal zusammengefasst: Die Kriegsgefangenschaft, die Erfahrungen als Medizinstudent, der Tod seiner Frau und die wiederkehrende Beschäftigung mit dem Thema Zellwachstum haben ganz unweigerlich dazu geführt, dass van Eelen die Entwicklung von Kulturfleisch so sehr am Herzen lag.
Ein Quälgeist setzt sich durch
Vermutlich ist das noch eine untertriebene Formulierung: Der Niederländer muss in diesem Punkt ein ziemlicher Quälgeist gewesen sein. Er war zwar kein Mediziner oder Wissenschaftler, aber dennoch hatte er das Selbstbewusstsein und die Leidenschaft, sich Leute zu suchen, die ihm bei seiner Idee helfen konnten. Erst einmal flog er dabei aber meist auf die Nase, die Menschen hielten ihn für verrückt. (Filko)
Van Eelen findet ein Team
Aber irgendwann tat sich dann doch etwas. In den 1990ern stieß er das erste Mal auf offene Ohren. Van Eelen rekrutierte Mitarbeiter für sein Projekt und meldete 1999 sogar ein Patent an. Carlijn Bouten, heute Professorin an der Technischen Universität Eindhoven, und der Lebensmitteltechniker Peter Verstrate, mittlerweile ein Mitbegründer des Unternehmens Mosa Meat, teilten seine Vision, wie in Filkos Buch nachzulesen ist. Einen Namen, den Hendrik Hassel noch in seinem Buch erwähnt, ist Henk Haagsman, damals Professor für Veterinärwissenschaften, der sich das ein oder andere Mal bei der Fleischindustrie unbeliebt gemacht hatte.
Forschungsgelder werden beantragt
Verstrate, der übrigens bei der Fleischfirma Sara Lee Foods beschäftigt war, und Haagsmann übernahmen Leitungsfunktionen bei der Sache, sodass Van Eelen auch Forschungsgelder beantragen konnte. Verstrate hat seiner Firma das Ansinnen laut Hendrik Hassel mit folgenden Worten schmackhaft gemacht: "Ich habe keine Ahnung, wohin dieser Zug fährt und ob er am Ende überhaupt in einen Bahnhof einfährt, aber ich schlage vor, wir kaufen ein Ticket."
Mark Post erscheint auf der Bildfläche
2005 wurden die Forschungsgelder bewilligt, die Zugreise begann. Doch alles entwickelte sich irgendwie schleppend. 2009 liefen die Gelder aus. Der Folgentrag wurde nicht bewilligt. Zum Glück war mittlerweile noch ein anderer Forscher mit im Boot, der das Projekt nicht aufgeben wollte. Sein Name: Mark Post. Er ist derjenige, der bei der Burger-Präsentation 2013 mit vor der Kamera stand. Er glaubte an die Idee. Auf Sparflamme - und ohne öffentliches Geld - forschte man weiter. Post machte derweil die Pressearbeit. (Quelle: Hassel)
Google-Mitbegründer liest Interview
Eines Tages gab Post der britischen Times ein Interview. Darin sagte er, dass die Technologie bereit sei, dass aber das Geld fehlt. Ein Schicksalsinterview. Denn dadurch wurde Sergey Brin, Mitbegründer von Google, auf die Sache aufmerksam. Über die Stiftung, die Brin mit seiner Frau hatte, wurde das benötigte Geld in das Projekt gespritzt: eine Million Dollar.
Drei Burger zu je 300 000 Dollar
Damit sollten drei Burger zu je 300 000 Dollar entwickelt werden. Übrigens: Es ging dabei nicht mehr um Schweinefleisch, wie anfangs geplant, sondern um Rindfleisch, weil die Investoren es so wollten. 2013 wurde der Burger der Öffentlichkeit präsentiert. Das Geld vonseiten des Google-Mitbegründers blieb danach zwar irgendwann aus, aber das Medienspektakel hatte andere Leute auf das Thema aufmerksam gemacht - wichtige Leute aus großen Unternehmen.
Van Eelen wird in den Medien unsichtbar
Seither wurden rund um den Globus zahlreiche Start-ups in der Sparte clean meat gegründet.
Van Eelen war bei der ganzen Entwicklung irgendwie nicht mehr mitgekommen. Es gibt unterschiedliche Versionen davon, wer dafür verantwortlich ist. Hassel schreibt, er sei in den Medien praktisch unsichtbar geworden, es sei nur noch um Mark Post gegangen.
Van Eelen hat nie Kulturfleisch gegessen
2015 starb van Eelen, ohne jemals selbst Kulturfleisch gegessen zu haben. Sein Beitrag an der Entwicklung kann aber gar nicht genug hervorgehoben werden, das sehen auch seine Wegbegleiter so. Peter Verstrate hat gesagt: "Ohne Frage ist van Eelen der frühe Pionier der Bewegung." Und auch Mark Post betont: "Ohne van Eelen wäre das Ganze nicht passiert. Und ich wäre heute nicht in der Position, in der ich bin."
Van Eelens Tochter wird neue Gallionsfigur
Heute hält van Eelens Tochter, Ira van Eelen, das Andenken ihres Vaters aufrecht. Sie gilt als eine der Gallionsfiguren der Szene und engagiert sich weiterhin dafür, dass Kulturfleisch eines Tages die Rolle in unserer Gesellschaft spielen kann, die sich ihr Vater erträumt hat.
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Susanne van Veenendaal
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