Worum geht's? An der Hochschule Bremerhaven forscht man an einer neuen Zutat für Nährlösungen, die bei der Kultivierung von Gewebezellen genutzt werden können. (Sie auch diesen Artikel) Ziel ist es, kein Fetales Kälberserum mehr einsetzen zu müssen. Stattdessen möchten die Wissenschaftler Algen nutzen. Algen könnten sich hierfür unter anderem wegen ihrer Antioxidantien eignen. An dem Hochschul-Projekt mit dem Namen "Serazel" arbeiten insbesondere die Doktorandinnen Hanna Eisenberg und Svenja Hütker. Die beiden Professorinnen Dr. Imke Lang und Dr. Felicitas Berger leiten das Projekt.
Antioxidantien sind wie Bodyguards
Erinnert sich noch jemand an den Film "Bodyguard"? In der Thriller-Romanze geht es um einen von Kevin Costner gespielten Bodyguard, der eine Sängerin (verkörpert von Whitney Houston) vor einem Killer beschützt. Es klingt vielleicht etwas gewagt: Algen haben ein bisschen Ähnlichkeit mit dieser Sängerin. Natürlich nicht optisch. Nein, aber auch Algen haben - wie alle Pflanzen - eine Art Bodyguard. Und der gehört ganz fest zu ihnen. Besser gesagt: Sie haben ganz viele Bodyguards, und die nennen sich Antioxidantien.
Antioxidantien-Bodyguards schützen Zellen
Was machen diese Antioxidantien-Bodyguards? Wie Kevin Costner schützen sie ihre Sängerin beziehungsweise ihre Alge. Okay, um ehrlich zu sein: Die Antioxidantien-Bodyguards kümmern sich nicht nur um Stars aus der Algen-Welt. Wie es sich für gute Bodyguards gehört, schützen sie auch andere "Auftraggeber". Das können alle Arten von Zellen sein: sowohl tierische als auch pflanzliche. Aber Algen gehören eben auch zum "Kundenstamm".
Antioxidantien wehren freie Radikale ab
Die Angreifer, die es unter anderem auf die Alge abgesehen haben, heißen freie Radikale. Es handelt sich um Sauerstoffverbindungen - Atome oder Moleküle - , denen ein Elektron fehlt. Sie entstehen natürlicherweise beim Stoffwechsel und stellen eigentlich kein Problem dar. Wenn sie jedoch überhandnehmen, können sie für oxidativen Stress sorgen. Das heißt, Zellen können Schaden nehmen. Antioxidantien schützen vor den freien Radikalen.
Hochschule nutzt Alge für Nährlösung
Was hat das nun mit Kulturfleisch zu tun? An der Hochschule in Bremerhaven machen sich Wissenschaftler unter anderem genau diese Antioxidantien einer Alge zunutze, um eine Nährlösung für Zellkulturen herzustellen. Der Nährlösung werden zudem Proteine, Lipide und Polysaccharide zugefügt. Dann wird getestet, welche die wirkungsvollste Kombination ist.
Ziel: Fetales Kälberserum vermeiden
Wichtig ist, dass die Nährlösung möglichst ohne Fetales Kälberserum auskommen soll. Fetales Kälberserum ist nicht nur ethisch fragwürdig, sondern hat eine ganze Reihe von Nachteilen. Es bedeutet Tierleid und die Qualität schwankt stark, weil es ein Naturprodukt ist. Je nach Produktionsstätte können auch die Preise stark variieren. Wie Fetales Kälberserum gewonnen wird und welche Probleme es birgt, ist hier nachzulesen.
Algen-Projekt trägt den Namen „Serazel"
Das Bremerhavener Algen-Projekt trägt den Namen „Serazel“, die Original-Schreibweise der Hochschule sieht so aus: SerAZel. Es ist die Abkürzung von „Serumfreie Zellkulturtechnik mit algenbasierten Additiven“. Zum Einsatz kommen hierbei verschiedene Rotalgen. Mehr dazu lest Ihr hier. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Projektträger Jülich.
Algen-Extrakt nährt Zellkulturen
Beim Projekt Serazel werden also Zellkulturen angelegt, die mit einem Extrakt aus Algen gefüttert werden. Dieses Extrakt punktet auch wegen seiner vielen Antioxidantien. Die Zellen werden also vegan ernährt und wachsen dennoch munter weiter - so die Idee des Projekts.
Hanna Eisenberg betreut Projekt
Betreut wird das Projekt Serazel unter anderem von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Hanna Eisenberg. Sie wurde 1993 in der Nähe von Darmstadt geboren und hat Biotechnologie - nicht zu verwechseln mit Biologie - studiert.
Die Biotechnologie nutzt Erkenntnisse unter anderem aus Biologie und Biochemie und macht sie technologisch nutzbar. So kommen insbesondere Enzyme, Zellen und ganzen Organismen zum Einsatz. Viele dieser Vorgänge sind altbekannt: Wenn Milchsäurebakterien Sauerteig herstellen oder wenn Hefe über eine alkoholische Gärung Bier entstehen lässt, dann sind das klassische biotechnologische Anwendungen.
Master in Bremerhaven gemacht
Für Hanna Eisenberg war ein Studium der Biotechnologie eine logische Konsequenz, weil sie sich gleichermaßen für Biologie, Physik und Chemie interessiert. "Die Biotechnologie ist eine Mischung aus allem", sagt sie. Ihren Bachelor hat sie in Jena gemacht, ihren Master in Bremerhaven.
Marine Biotechnologie zieht Eisenberg nach Bremerhaven
Was sie in die Seestadt geführt hat? "Ich wollte mich auf marine Biotechnologie spezialisieren", erzählt sie. Denn über diesen Zweig der Wissenschaft, der sich auch blaue Biotechnologie nennt, sei erst wenig bekannt. "Im Meer existiert ein komplett anderes Ökosystem, das völlig andere Reaktionen aufweist", erklärt sie begeistert.
In ihrer Masterarbeit hat sie sich dementsprechend mit der Interaktion von Bakterien und Algen beschäftigt. Wenn Hanna Eisenberg über die Beziehung von Algen und Bakterien spricht, gerät sie beinahe ins Schwärmen: "Es gibt ein Phänomen, dass auf Algenoberflächen nur bestimmte Bakterien wachsen und auch nur in begrenzter Anzahl", erklärt sie. Was das Besondere daran ist? "Die Bakterien wachsen nur in einer Lage, damit die unteren Bakterien nicht absterben", verdeutlicht Hanna Eisenberg. Es gebe eine Kommunikation zwischen Alge und Bakterium, nur dadurch funktioniere das Ganze.
Am Anfang des Projekts stand Marktanalyse
Weil die Professorin, die Hanna Eisenbergs Masterarbeit betreut hat, auch für Serazel zuständig ist, bewarb sich die junge Wissenschaftlerin auf eine Stelle im Projekt. Im ersten Jahr, der sogenannten Sondierungsphase, habe sie hauptsächlich eine Marktrecherche betrieben. "Ich musste erst einmal herausfinden, ob es vielleicht schon Patente in diesem Bereich gibt. Außerdem musste ich klären, wie die Chancen des Verfahrens auf dem Markt sind und für welchen Sektor es interessant sein könnte", berichtet sie. Denkbar seien zum Beispiel die Kosmetikbranche und die Medizin gewesen.
Außer Hanna Eisenberg waren und sind noch andere Mitarbeiter an Serazel beteiligt. Zwei Studierende hätten beispielsweise ihre Masterarbeit über das Projekt geschrieben. Die eine Masterarbeit war mit der Bereitstellung der Algenextrakte beschäftigt und die andere mit der Testung der Extrakte auf den Zelllinien. "Es wurden einige Proben mit Fetalem Kälberserum genutzt, und einige ohne", schildert Hanna Eisenberg.
Fetale Kälberserum ist starke Konkurrenz
Das Fetale Kälberserum ist trotz seiner Nachteile eine starke Konkurrenz für jede Nährlösungsalternative. "Es ist grundsätzlich gut für das Wachstum von Zellen. Auch, wenn man nicht ganz genau weiß, was drin ist, ist es ganz klar ein Cocktail des Lebens: Enthalten sind unter anderem Aminosäuren, Lipide, Wachstumsfaktoren, hydrokolloide Substanzen und vieles mehr", zählt Hanna Eisenberg auf. Schließlich werde das Serum ja auch aus Kälbern gewonnen, die wachsen wollen. "Niemand findet es toll, Kälberserum zu verwenden", meint sie.
Algen-Extrakt schneidet gut ab
Wie hat nun das Algen-Extrakt gegenüber dem Fetalen Kälberserum abgeschnitten? "Die Proben waren in vielen Punkten gleich gut", fasst Hanna Eisenberg zusammen. Das betreffe beispielsweise die Kriterien Vitalität, Wachstum und fehlende toxische Wirkung.
"Diese Ergebnisse sind natürlich noch mit Vorsicht zu genießen, schließlich handelt es sich nur um Vorversuche", betont sie. Sollte sich die positive Wirkung des Algenextrakts jedoch bewahrheiten, eröffne dies große Chancen.
Algen ermöglichen Zellzucht in großem Maßstab
Man könnte in einem viel größeren Maßstab Zellen kultivieren als jetzt. "Denn dann wäre man nicht mehr auf schwangere Kühe und ihre Kälber angewiesen. Stattdessen könnte man mit Reaktoren arbeiten", sagt Hanna Eisenberg. Dass es dafür genügend Algen gibt, bezweifelt sie nicht. "Algen sind wie Unkraut, die wird man nicht mehr los", meint sie scherzend.
Deshalb ist die Rotalge so geeignet für Zellkulturen
Die Rotalge sei auch deshalb so interessant, weil man sie sehr gut züchten könne. "Sie kann sowohl Fotosynthese betreiben als auch Kohlenstoffverbindungen wie beispielsweise Glucose verwerten", erläutert Hanna Eisenberg. Das heißt, die Alge könnte auf Resten aus der Lebensmittelproduktion wachsen, gibt sich aber auch mit Licht, Wasser und Kohlendioxid aus der Luft zufrieden.
An dieser Stelle lässt sich der Vergleich von Algen mit Sängerinnen und ihren Bodyguards wohl nicht mehr aufrechterhalten. Denn kein Star wäre wohl so anspruchslos und würde gleichzeitig seine Bodyguards für andere zur Verfügung stellen, oder?
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Susanne van Veenendaal
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